Ein universelles Lösungskonzept zur Stimmungsmessung an Musikinstrumenten

G. Ziegenhals; P. Nickel
Demusa report ‘88

Die Bestimmung der Tonhöhe der von Musikinstrumenten erzeugten Klänge ist eine der grundlegenden Meßaufgaben der musikalischen Akustik. Als Tonhöhe wird die Frequenz eines Sinustones bezeichnet, die die gleiche Tonhöhenempfindung wie der zu messende Klang hervorruft. Die Angabe der Frequenz kann dabei in der absoluten "Hertz-Skala" oder - wie in der musikalischen Akustik gebräuchlich - in der relativen "Cent-Skala" vorgenommen werden. Im letzteren Falle erfolgt die Tonhöhenangabe als Nennung des Namens des der gemessenen Frequenz am nächsten gelegenen Tones der wohltemperierten Skala und der verbleibenden Abweichung von diesem Ton in Cent. So entsprechen z. B. 442 Hz der Angabe a1 -+- 7,85 Cent. Für eine Reihe von Instrumenten kann in guter Näherung die gemessene Frequenz des ersten Teiltones des Klanges gleich der Tonhöhe gesetzt werden. Voraussetzung dafür ist, daß der Energieanteil des ersten Teiltones hinreichend groß gegenüber denen der höheren Teiltöne ist.
Das vorgestellte Lösungskonzept richtet sich zunächst auf Einsatzfälle, bei denen diese Voraussetzung hinreichend gegeben ist. Es existieren eine Reihe von Lösungen zur Messung der Frequenz der Grundschwingung sowohl in digitaler als auch in analoger Technik. Dabei unterscheidet man grundsätzlich zwei Verfahren:

  1. Überlagerung der zu messenden Schwingung mit einer bezüglich der Frequenz definiert einstellbaren Vergleichsschwingung. Am Resultat der Überlagerung wird erkannt, wenn Frequenzgleichheit vorliegt. Die Regelung der Vergleichsfrequenz und die Erkennung der Frequenzgleichheit können dabei sowohl automatisch wie z. B. im Phase-Locked Loop-Verfahren, aber auch manuell-subjektiv z. B. durch Beobachtung der Überlagerung in einem Oszilloskop erfolgen. Eine Realisierungsvariante dieses Verfahrens stellt auch das vor ca. 30 Jahren im Institut für Musikinstrumentenbau Zwota entwickelte elektro-optische Stimmgerät dar.
  2. Messung der Periodendauer des zu untersuchenden Signals meist durch Auszählen der Impulsfolge einer hochfrequenten Zeitbasis, die während einer oder mehrerer Perioden der zu messenden Schwingung in einen Zähler einläuft.

Entscheidend für die Auswahl des Verfahrens ist das vorgesehene Einsatzgebiet. Im vorliegenden Fall stand die Aufgabe, ein universelles Stimmungsmeßsystem für die Anwendung in Produktion und Forschung zu schaffen. Daraus ergeben sich folgende Anforderungen:

Das diesen Anforderungen entsprechende Lösungskonzept basiert auf der Messung des zeitlichen Abstandes zwischen charakteristischen Punkten des Zeitsignals mit mikrorechnergestützter Meßwertverarbeitung. Es besteht im wesentlichen aus drei Komponenten, und zwar der analogen Signalaufbereitung, der Signaldetektion und Meßwertaufnahme sowie der Auswertung der Meßwerte und Anzeigesteuerung.

Anlaloge Signalaufbereitung

Diese Komponente besteht aus einem Vorverstärker und Filterbausteinen. Der Vorverstärker ist mit einer kontinuierlichen Verstärkungsregelung im Bereich von ca. 40 dB ausgelegt. Er ist so gestaltet, daß er über einen Dynamikbereich von 25 dB das Signal in seiner Zeitstruktur nicht verfälscht. Dieser Arbeitsbereich ist insbesondere für die Messung instationärer Signale, z. B. von Pianoklängen, von Bedeutung. Die Eingangsstufe gestattet den Anschluß von Mikrofonen, elektromagnetischen und piezoelektrischen Tonabnehmern. Die Filter dienen als Ergänzung zu den unten beschriebenen Softwarekomponenten zur Signalaufbereitung und der Eliminierung von Störungen. Sie werden für jeden Einsatzfall unter dem Gesichtspunkt minimalen Bedienaufwandes optimiert. So wurden z. B. für den Einsatzfall Metallklangstäbe auch im Produktionseinsatz keine Filter benötigt, für die Messung von Pianoklängen jedoch ein Tiefpaß und 11 Bandpässe.

Signaldetektion und Meßwertaufnahme

Im Prozeß der Signaldetektion werden aus den Charakteristika des Zeitsignals, Maxima, Nulldurchgänge und extreme Änderungen Signalflanken gewonnen. Technisch wird das mittels bekannter Triggerschaltungen und nachgeschalteter Logikbausteine bzw. eines Envelopenperiodizitätsdetektors realisiert. Die Auswahl der Detektion erfolgt nach den Eigenschaften des jeweiligen Instrumentenklanges. Nach dem Detektor folgen Flip-Flop-Bausteine, die über Torschaltungen die Zeitbasis, die aus dem Systemtrakt der Rechnerkonfiguration gewonnen wird, im Wechsel den Zählern einer CTC zuführen. Gleichzeitig werden über PIO-Ports Interrupts ausgelöst, in deren Serviceroutinen der Zählerstand des jeweils in Ruhe befindlichen Zählers in den Arbeitsspeicher übertragen und der Zähler zurückgesetzt wird. Im Speicher entsteht eine Folge von Zählwerten, die den zeitlichen Abständen der Signalcharakterika proportional sind. Nach einer wählbaren Anzahl von Meß-(Zähl-) Werten wird die Meßwertaufnahme abgebrochen. Es werden Zähler von 16 bit Breite eingesetzt. Bei einer Taktfrequenz von ca. 2,5 MHz können Zeitabstände von 0,05 s, das entspricht 20 Hz Sinuston, bis 2,5 10-4 s (= 4 kHz) sicher erfaßt werden.

Auswertung der Meßwerte und Anzeigesteuerung

Die Auswertung der Meßwerte erfolgt in einer Mikrorechnerkonfiguration. Ziel der Auswertung ist es, aus der gespeicherten Folge der zeitlichen Abstände der Signalcharakteristika die Periode der Grundschwingung des Signals zu bestimmen. Aufgrund des bezüglich Obertonstruktur sowie Abklingverhaltens unterschiedlichen Aufbaus der Klänge verschiedener Instrumente sind die Auswerteverfahren, zumindest jedoch deren Parameter, instrumentenspezifisch. Neben den Klangeigenschaften ist der Zeitfaktor ein wesentliches Kriterium bei der Entwicklung der Auswertealgorithmen. Die Zeit zwischen Einsetzen des Signals und der Anzeige der Tonhöhe soll möglichst gering sein. Zwei wichtige Parameter für die Auswertung sind die Anzahl der aufzunehmenden Meßwerte und die Anzahl der Zählwerte zu Beginn des Signals, die von vornherein als untypisch auszusondern sind. Derartige untypische Signalverläufe werden z. B. durch Anschlaggeräusche verursacht.
Im folgenden werden zwei Auswertealgorithmen beschrieben. Das erste Verfahren ist für Klänge geeignet, bei denen die Mehrzahl der Zählwerte der halben Periodendauer der Grundschwingung entspricht. Im ersten Auswerteschritt werden die Zählwerte der Größe nach sortiert. Anschließend erfolgt die Einteilung in Gruppen, wobei die Größe der Zählwertdifferenz als Kriterium fungiert. Ausgehend von der Gruppe größter Zählwerte wird die Anzahl der Zählwerte ermittelt. Erreicht die Anzahl eine vorgegebene Mindestgröße, so wird die Gruppe als die dem Grundton entsprechende akzeptiert, der Gruppenmittelwert gebildet und dieser als Meßergebnis gewertet.
Komplizierte Signale weisen mehrere Charakteristika pro Periode auf. Der periodengerechte Zählwert entsteht hier als Summe einer nicht notwendig konstanten Anzahl von Charakteristikaabständen. Die Zählwertfolge wird zunächst auf sich wiederholende Zählwertsummen geprüft, indem die Summierung aufeinanderfolgender Zählwerte solange variiert wird, bis erstmals zwei Summen (eine einstellbare Unschärfe wird zugelassen) gleiche Werte ergeben. Diese Summe ist nunmehr der Periodenschätzwert. Ergeben weitere variierte Summierungen aufeinanderfolgender Zählwerte in genügender Anzahl diesen Schätzwert (wobei wiederum eine Ungenauigkeit vorgegeben werden kann), so ergibt der Mittelwert der Summen den gültigen Meßwert. Gelingt es in einem Falle nicht, trotz Vernachlässigung einer wählbaren maximalen Anzahl von Zählwerten durch Summierung aufeinanderfolgender Zählwerte den Schätzwert zu erreichen, so wird die Schätzung verworfen und ein neuer Schätzwert gesucht.
Die Ergebnisanzeige ist in einer Vielzahl von Varianten möglich. Die Palette beginnt bei absoluter Frequenzangabe mittels Ziffernanzeigen und reicht über Ton-, Oktav- und Cent-Abweichungs-Anzeige entsprechend vorgegebener Stimmungsskalen bis zur Trendanzeige in analoger Form. Die Realisierung der Anzeigesteuerung erfolgt durch Software-Timesharing. Die gewählte Steuerfrequenz gewährleistet ein stabiles Anzeigen der Ergebnisse.

Das beschriebene Konzept wurde l984 von Blutner und Müller entwickelt und in zwei Prototypen eines autonom arbeitenden Gerätes realisiert. Da die Hardware insbesondere in bezug auf Möglichkeiten zur Systementwicklung nicht optimal gestaltet war, wurde die Lösung 1986/87 durch die Autoren weiterentwickelt. Bei der Konfigurierung sind zwei prinzipielle Lösungen zu beachten. Einerseits kann bei hohem Filteraufwand das Signal weitestgehend auf den sinusförmigen Grundtonteil reduziert werden. Die Aufgabe der Software ist es in diesem Falle, einzelne Störungen zu eliminieren. Da der Bediener den zu messenden Ton sehr genau am Gerät vorwählen muß, um den entsprechenden Filterbereich einzustellen, ist diese Variante nur dann sinnvoll, wenn nacheinander viele annähernd gleiche Tonhöhen zu messen sind. Andererseits wird bei geringem Filteraufwand (in besonders günstigen Fällen ohne Filteraufwand) ein hoher Softwareaufwand betrieben. Der Bedienaufwand ist hierbei gering bzw. kann unter Umständen ganz entfallen. Von Nachteil sind die größeren Auswertezeiten.
Die diesen Überlegungen angepaßte Hardwarekonfiguration vereinigt alle Komponenten außer den Filterbausteinen auf einer Leiterkarte vom Format 170 mm x 215 mm. Um die Universalität dieser Karte zu sichern, werden Verstärker und Detektor in "Huckepacktechnik" ausgeführt. Der Mikrorechner besitzt einen Festwertspeicher von 6 K Byte EPROM und einen Arbeitsspeicher von 1 K Byte RAM. Neben der Meßwerterfassung, -auswertung und -anzeige können damit auch einfache Steuerungsaufgaben realisiert werden. Die separate Filterkarte besitzt je nach Anwendungsfall einfache, tieffrequente Störungen unterdrückende Hochpässe oder softwaremäßig schaltbare Bandpässe. Die Gehäuse werden so ausgeführt, daß große, gut sichtbare Anzeigeelemente angebracht werden können und eine ergonomisch günstige Bedienung möglich ist.
Speziell für die Systementwicklung wurde eine K 1520-Bus-kompatible Zusatzkarte für den Bürocomputer "robotron A 5120" des VEB Kombinat Robotron entwickelt. Sie umfaßt Verstärker, Signaldetektor und Meßwertaufnahme. Im Zusammenspiel mit den Bürocomputer-Komponenten ist die komfortable Variation der Auswerteprogramme bzw. einzelner Parameter möglich. Weiterhin können große Mengen an Meßwerten erfaßt, gespeichert oder ausgegeben werden. Mit diesem Hilfsmittel kann der für den jeweiligen Instrumentenklang geeignete Auswertealgorithmus ermittelt werden. Die Filterfunktionen übernehmen in dieser Anordnung vorgeschaltete universelle Laborfilter. Neben der Verwendung als Entwicklungssystem ist der erweiterte Bürocomputer auch zur statistischen Tonhöhenerfassung von vielen Instrumentenklängen z. B. im Bereich der Qualitätskontrolle nutzbar. Eine Nutzung der Zusatzkarte in K 1520-Steuerungen ist ebenfalls möglich. Die Zusatzkarte besitzt einen Zähler/Zeitgeberschaltkreis CTC, einen programmierbaren Parallel - Ein/Ausgabeschaltkreis PIO, einen 1-aus-8-Binärdekoder zur Adreßkodierung, einen 4-zu-16-Dekoder/Multiplexer zum eventuell softwaremäßigen Schalten von anschließbaren Filterbausteinen, 3 Bustreiber, Logikbausteine und das Analogteil zur Signalaufbereitung. Sie wird in das Bus-System des
Bürocomputers eingesteckt und in die Interruptprioritätskette (daisy chain) eingebunden. Die Karte stellt die Verbindung zwischen Mikrorechner und Meßperipherie her.

Einige Nutzer des vorgestellten Lösungskonzeptes kritisieren die insbesondere bei tiefen Tönen deutlich wahrnehmbare Zeitspanne zwischen Signaleinsatz und Anzeige des Ergebnisses. Die Vorgabe einer in der Spezifizierung auf ein bestimmtes Instrument ermittelten Meßwertanzahl bedingt eine tonhöhenabhängige Zeitspanne zwischen Signaleinsatz und Auswertungsbeginn. So verursacht eine Vorgabe von 200 Werten bei A = 110 Hz eine Verzögerung von 0,5 bis 1,5 s je nach Signaleigenschaften. Dieser mögliche Nachteil wird jedoch nach Meinung der Autoren durch die Vorteile des Verfahrens, insbesondere der Möglichkeit der Weiterverarbeitung der Ergebnisse, aufgewogen. Die Einbeziehung einer gewissen Mindestanzahl von Signalperioden zur Eliminierung von untypischen Signalanteilen ist für eine gesicherte Messung unerläßlich.

Das beschriebene Lösungskonzept hat sich in den letzten drei Jahren in Labor und Produktion bewährt, wobei erst ein Teil der möglichen Einsatzfälle erschlossen wurde. Die Verkürzung der Auswertezeiten sowie der verstärkte Einsatz im Prozeß der Automatisierung sind das Ziel weiterer Forschungsarbeiten.

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